ix: Hallo Ivo, wie siehst du die aktuellsten Entwicklungen auf dem Omnichannel-Commerce-Markt hinsichtlich der unterschiedlichen Technologieansätze?

Ivo: Der Trend geht ganz klar Richtung Integration, Integration und nochmals Integration! Das wird durch die User Experience getrieben. User sind schon lange nicht mehr bereit, lange Ladezeiten hinzunehmen. Heute sind sie auch nicht mehr bereit, lange Klickpfade hinzunehmen. Also muss man alle relevanten Informationen zusammenbringen: Content, Preise, Verfügbarkeiten, Shopping-Funktionen. Von allen Seiten auf den User zugehen, wir sprechen von echter 360-Grad-User-Experience, geht nur mit Integration.

ix: Kannst du dafür Beispiele nennen?

Ivo: Ganz typisch: ein User findet Infos zu einem Produkt, das ihn interessiert. Eine News. Oder eine Microsite. Er sollte nicht erst mit Google nach einem Webshop oder Händler suchen müssen, um das Produkt zu bestellen. Er sollte den Kaufvorgang direkt am Info-Touchpoint starten können. Ein Link auf den Webshop des Anbieters ist schon mal gut, wenn der direkt auf die Produktseite führt. Idealerweise findet der Interessent gleich neben der Info zum Produkt schon einen Button, der das Produkt direkt in den Warenkorb legt.

ix: Im B2B-Bereich gibt es aber oft keinen Anbietershop, was dann?

Ivo: Dann sollte die nächstmögliche Ordermöglichkeit so einfach wie möglich erreichbar sein. Zum Beispiel indem das Produkt direkt auf einen Merkzettel gelegt werden kann, der dann ganz einfach als Angebotsanfrage an den nächstgelegenen Händler verschickt wird.

ix: Was bedeutet das für die technologische Integration?

Integrierte User Experience heißt integrierte Technologie! Technologische Insellösungen für Corporate Website, Onlinekatalog, Webshop, Landingpages und Microsites sind nicht mehr zeitgemäß.  Mit einem solchen Technologie-Zoo dem User eine integrierte Experience zu verschaffen ist nur sehr begrenzt möglich. Außerdem bringt das hohe laufende Aufwände, weil die Front- und Backends der Systeme ja technologisch getrennt bleiben. Mehrfachpflege bei Content und Daten fällt an. Änderungen und Weiterentwicklung sind ziemlich aufwändig. Das Ganze ist auch fehleranfälliger, also auch in der Wartung teurer.

ix: Wie kann denn eine Lösung für den Mittelstand aussehen?

Ivo: Fast alle großen Pureplayer - also Anbieter, bei denen der Online-Kanal der einzige oder führend ist - nutzen statt Standard-CMS- und Shopsoftware komplette Eigenentwicklungen, was sehr teuer ist, oder entsprechende Frameworks, was auch teuer ist. Neben hohen Lizenzkosten fallen auch immer hohe Projektaufwände an. Ein guter Weg für den Mittelstand ist daher, zwar Standard-Software zu verwenden, dabei aber auf Open Source zu setzen. Das bedeutet offener Code und offene Schnittstellen. Hier kann man die jeweils besten Lösungen per Best-of-Breed verwenden und einfach integrieren.

ix: Was haben die Buzzwords "Headless" und "API-driven" damit zu tun?

Ivo: Auch bei Best-of-Breed mit Open Source muss man technologisch vom Ende her denken. Für jeden Aspekt eine Software zu wählen und zu hoffen, dass man das  Ganze dann schon irgendwie integrieren kann, ist wenig realistisch. Stattdessen müssen die besten funktionalen Teile der Open-Source-Lösung wie CMS oder Webshop in ein gemeinsames Frontend und ein gemeinsames Backend integriert werden. Da sie damit nicht mehr ihr eigenes Frontend verwenden, nennt man sie "headless". Die Zusammenfügung erfolgt über Schnittstellen, über APIs, also "API-driven". Mit dieser Integrationsart wird dann auch eine echte, hochintegrierte Customer Experience möglich.

ix: Welche Integratoren sind denn dafür geeignet?

Ivo: Für jede Software einen separaten Integrator zu wählen und zu hoffen, dass diese im Nachgang eine integrierte Lösung schaffen können, ist illusorisch. Headless API-driven zu integrieren bedeutet, die ganze Lösung zu sehen, architektonisch sauber aufzusetzen und laufend aktuell zu halten. Meist sind auch ergänzende Intergrationskomponenten erforderlich. Z.B. um e-Commerce und Content-Delivery wirklich performant zusammenzubringen. Daher ist es auch nicht erfolgversprechend, erstmal mit einem möglichst günstigen Anbieter einzelne Mini-Inseln zu bauen und darauf aufzusetzen. Da fehlt dann die Kompetenz für das Ganze und am Ende hat man statt eines vielfältigen Kontinents mit dichtem Schnellverkehrsnetz einen Dschungel aus lauter Inseln mit wackeligen Brücken und langsamen Fähren. Und keinen, der zentral dafür verantwortlich zeichnet.

ix: Meist müssen ja auch Drittsysteme wie PIM, ERP und CRM integriert werden. Wie sieht es damit aus?

Ivo: Hier ist die Integrationsarchitektur wichtig. Die Integrationslösung darf eben nicht nur ein beliebiges Zusammenstöpseln von Standard-Software sein, sondern muss neben dem gemeinsamen Head auch eine gemeinsame Datenintegration von Drittsystemen haben. Das schaffen nur wenige Integratoren.

Es ist also ein Integrator gefragt, der eine sinnvolle Vorauswahl für die Best-of-Breed-Lösungen getroffen hat und die Headless-Integration per API aus dem Effeff beherrscht. Und zwar nicht nur für die Web-Kompontenten selbst, sondern auch für PIM, ERP und CRM. Der eine architektonisch starke und flexible Lösung hat.

ix: Wie würde denn eine entsprechende Lösung für e-Commerce und Content-Delivery aussehen?

Ivo: Wichtige Voraussetzung ist erst einmal eine koordinierte Daten- und Medienhaltung, um eine konsistente User Experience überhaupt möglich zu machen. Und das mit effizienter Datenpflege durch das Marketing und Produktmanagment. Die zentrale Daten- und Medienhaltung kann der Auftraggeber schon mitbringen oder sie muss im Projektrahmen eingeführt werden. Am besten ist natürlich ein System, das Daten- und Medienhaltung verbindet, beispielsweise PIM-Software mit MAM-Komponente. Um diese Inhalte mit weiteren Daten wie Preisen, Verfügbarkeiten usw. für den e-Commerce performant zur Anzeige, Suche und Filterung zur Verfügung zu stellen, ist als weiteres Element eine integrierte Content- und Daten-Delivery-Lösung essentiell. Dort kann dann auch die ERP-Schnittstelle angekoppelt werden. Und das CRM. Auf diesen integrierten Datenlayer setzen dann API-driven CMS- und e-Commerce-Systeme auf. Diese liefern die entsprechenden Funktionen wie User Management, Warenkorb, Checkout, Payment usw.

ix: Wie kommt dann der Headless-Ansatz zum Tragen?

Ivo: Das Frontend wird als sogenannter Head über eine speziell dafür erstellte Komponente gestaltet. Die wird als weiteres Architekturelement über alle anderen integriert und verbindet Medien, Daten und Funktionen über Templates zu Seiten. Dann können per Drag und Drop beliebige aber einheitliche Layout- und Funktionselemente aus allen Content- und Daten-Quellen zu beliebigen Seiten mit beliebigen Inhalten verbunden werden. Und das für alle Seitentypen, auch für regelbasiert automatisch erstellte, wie Produktübersichts- oder -detailseiten. Im Ergebnis greifen Katalog, Shop, Landingpages, Microsite, News, Corporate Pages auf dieselben Templates, Daten und Inhalte zu und lassen so eine integrierte User Experience entstehen.

ix: Wie ist denn eine solche Integration technologisch möglich?

Durch Nutzung von Software und Komponenten mit einem gemeinsamen Basis-Framework, einem sogenannten Web Application Framework. Das heißt, dass die Software nicht nur in einer Programmiersprache geschrieben ist, sondern durch das Framework viele technologische Basis-Technologien teilt. Wenn Entwicklung und Betrieb dann noch auf einer zeitgemäßen Container-Cloud-Lösung aufgesetzt werden, wird auch für integrierte Lösungen eine wirklich gute Stabilität und Skalierbarkeit in der Performance machbar. Dabei muss man seine Daten nicht Amazon oder Google anvertrauen, da es auch entsprechende lokate Angebote für in Deutschland und der EU gibt.

ix: Kannst du mal ein ganz konkretes Beispiel nennen?

Wir bei Netgen sind auf das Thema CMS mit eZ Platform fokussiert, das ist ein international sehr starkes Publisher CMS. Dafür haben wir eine einen Template-Builder als "Head" namens Netgen Layouts erstellt. Für eine Vollintegration fällt mir unser Technologie-Partner infolox ein. infolox nutzt ebenfalls eZ Platform und daher auch unser Layouts. infolox geht aber noch deutlich weiter und hat mit Layouts und API-driven das e-Commerce-System Sylius mit dem CMS integriert. Alle Komponenten nutzen das führende PHP-Framework Symfony. infolox hat als Komplettanbieter auch etablierte PIM-Software mit MAM-Komponente im Programm, konkret von Viamedici, Contentserv und prodexa. Und sie binden das an ERPs und CRMs an.

Für die integrierte Content- und Daten-Delivery hat infolox eine hochperformante Lösung auf Basis der Open-Source-Suchplattform SOLR erstellt, die ebenfalls über Layouts integriert ist. So hat infolox für Corporate Content, Produktcontent und e-Commerce die Vision realisiert, beliebige Seiten mit beliebigen Layout- und Funktionselementen aus diversen Content- und Daten-Quellen zu erstellen. Was übrigens der Auftraggeber im Anschluss an die Konfiguration durch infolox selbst managen kann! Als durchgehende Container-Cloud-Lösung nutzen sie die weit verbreitete Virtualisierung durch Docker mit Rancher, und das in einer skalierbaren Private Cloud mit multiredundanten Netzanbindungen beim deutschen Rechenzentrum Hetzner. Das ist schon ein einmaliges Angebot für eine 360-Grad-User-Experience!